Geschichtswerkstatt Marburg e.V.    Forschung für Regional- und Alltagsgeschichte

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Vortragsreihe zum 25-jährigen Bestehen der Geschichtswerkstatt Marburg:
"NS-Verbrechen - Facetten der Aufarbeitung"

Die Termine dieser Veranstaltungsreihe entnehmen Sie bitte dem Flyer, der als PDF-Datei (PDF-Download: 300 kB) heruntergeladen werden kann.

zur 1. Veranstaltung

Die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschheit begann weltweit mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In vielen Ländern wurden die Gräueltaten des NS-Regimes in Europa und die Verbrechen des japanischen Imperialismus vor Gericht gestellt. Einleitend zum Thema der Veranstaltungsreihe gab der Vortrag einen grundlegenden Überblick über die Entwicklungsgeschichte des Völkerstrafrechts vom ersten Weltkrieg bis zum Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Tribunal und den Verfahren in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands.

Referent: Dr. Wolfgang Form ist Mitgründer des Forschungs-und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse an der Philipps-Universität Marburg.

 

zur 2. Veranstaltung

Willi Dreßen und Klaus-Peter Friedrich, 2. Vorsitzender der Geschichtswerkstatt Marburg (Foto: B. Wagner)

Willi Dreßen, Oberstaatsanwalt a.D., 1996-2000 Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg.

1993 erschien im Jahrbuch der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem ein Beitrag Willi Dreßens, der viel davon vorwegnahm, was einige Jahre später als Auseinandersetzung um die Rolle der Wehrmacht in die Geschichte der bundesdeutschen "Vergangenheitsbewältigung" eingehen sollte. Ausgehend von dem Satz des protestantischen Theologen Theodor Litt: "Nicht das Wegsehen, sondern das Hinsehen macht die Seele frei" verdeutlicht Dreßen das Ausmaß der willigen Zusammenarbeit der Armee bei den Mordaktionen gegen Juden (Yad Vashem Studies 23, 1993, S. 295-319: The Role of the Wehrmacht and the Police in the Annihilation of the Jews. The Prosecution and Postwar Careers of Perpetrators in the Police Force of the Federal Republic of Germany). Erst ein paar Jahre später sollte dies einer größeren Öffentlichkeit bewusst werden. Für eine angemessene Bestrafung der Täter, die sich in der Bundesrepublik wieder eingerichtet hatten, war es zu dieser Zeit freilich bereits zu spät.

Nicht nur hier, sondern schon vorher hatte Willi Dreßen aufmerksam hingesehen, zum Beispiel, als er mit Ernst Klee u. Volker Rieß den Band "Schöne Zeiten. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer" herausgab - einen der wichtigsten "Klassiker" unter den Büchern, die sich der Aufarbeitung der NS-Verbrechen widmen. Seit 1988 hat er mehrere Neuauflagen (allein 6 in Deutschland) erfahren, und er ist ins Englische, Französische, Italienische und Spanische übersetzt worden.

Ebenfalls mit Ernst Klee hat Willi Dreßen 1989 den Band ",Gott mit uns'. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten, 1939-1945" herausgegeben. Darüber hinaus schrieb er über Prozesse gegen Mörder der sog. Euthanasie.

Die Ermittlungsakten der 1958 gegründeten Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, deren Anfänge Dreßen miterlebte, erweisen sich heute als Fundgrube für die "Täterforschung".

von Klaus-Peter Friedrich

 

zur 3. Veranstaltung

Film von Malte Ludin: Mein Vater der Kriegsverbrecher. 2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß.

Filmvorführung mit einleitendem Vortrag und anschließender Diskussion

Der ehemalige Repräsentant Nazi-Deutschlands in der Slowakei, Hanns Ludin, wurde 1947 als Kriegsverbrecher hingerichtet. Sein Sohn Malte Ludin trug 60 Jahre später zusammen, was er über seinen Vater erfahren konnte. Er beendete damit das Schweigen innerhalb der Familie, das über der Mitverantwortung des Vaters in der NS-Zeit gelegen hatte. Der Film Malte Ludins zeigt eine mühsame Spurensuche: die Taten seines Vaters und des Schweigen und Verdrängen seiner Familie. Dieser schwierige Aspekt der Auseinandersetzung mit der Väter- und Müttergeneration, die mit einem Redeverbot über die verdrängte Schuld eine schwere Last auf die nachfolgende Generation legte, war Thema des einleitenden Vortrags.

Referentin: Dr. Brigitte Bosse ist Ärztin und Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Trauma-Therapie in Mainz.

 

zur 4. Veranstaltung

Artikel aus der Marburger Neuen Zeitung vom 17.12.2008

Dunkles Behring-Kapitel aufgeschlagen

Marburger Unternehmen unterstützten Medikamententests an KZ-Häftlingen

Marburg (mlu). Die Marburger Geschichtswerkstatt hat im Marburger Kulturladen KFZ ihre Vortragsreihe "NS-Verbrechen: Facetten der Aufarbeitung" fortgesetzt. Der Vorsitzender des Vereins, Thomas Werther, sprach zum Thema "Ermittlungen wegen Menschenversuchen in Buchenwald".

Thomas Werther zeigt im Marburger KFZ ein Foto, auf dem zu sehen ist, auf welche groteske Art sich die Deutschen vor Fleckfieber zu schützen versuchten. (Foto: Luckhof)

Werther gab einen Einblick in den Umgang der deutschen Nachkriegsjustiz mit den Fleckfieberversuchen im Konzentrationslager Buchenwald. Zwischen 1942 und 1945 wurde dort die "Abteilung für Fleckfieber- und Virusforschung" eingerichtet. Das Ziel dieser Abteilung sollte sein, einen Impfstoff gegen die oftmals tödliche Infektionskrankheit Fleckfieber zu bekommen.

Werther stellte dar, wie unter der Beteiligung der Marburger Behring-Werke und der IG Farben an der Herstellung eines Fleckfieberimpfstoffes gearbeitet wurde. Aus Besprechungsprotokollen geht hervor, dass die Behring-Werke daran interessiert waren, ihre Neuentwicklungen bei der Impfstoffherstellung zunächst an Menschen im Konzentrationslager Buchenwald zu testen. Diesen Testversuchen erlagen in Buchenwald etwa 300 Menschen, so Werther.

Erst 1960 nahm der Limburger Staatsanwalt Kutschbach die Ermittlungen gegen 13 Verantwortliche der Fleckfieberversuche auf. Alle Verfahren wurden jedoch bereits im Juli 1961 wieder eingestellt, obwohl es hinreichende Beweise gegen die Angeklagten gab.

Es kam zu keiner einzigen Verurteilung. Werther zeigte hierzu anhand detaillierter Quellen die ungenügenden Bemühungen der Staatsanwaltschaft Limburg, der Sache nachzugehen. Für den Referenten ist dies Kennzeichen einer zu der damaligen Zeit vorherrschenden Geschichtsvergessenheit der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Dem Staatsanwalt hatten nicht nur die Beweismittel gefehlt, sondern auch die Motvation, die NS-Verbrechen zu bestrafen.

 

zur 5. Veranstaltung

Artikel aus der Marburger Neuen Zeitung vom 17.01.2009

Es war normal, dass überall gestorben wurde

Lesung erinnert an ersten Auschwitz-Prozess

Marburg (ksm). Millionen von Menschen sind den Verbrechen der Nazis zum Opfer gefallen. Und erst zwei Jahrzehnte nach Kriegsende wurden einzelne Verantwortliche in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen für ihre Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen. Daran erinnerte eine Veranstaltung, die das Hessische Landestheater am Donnerstagabend in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt ausrichtete.

A. Beise

Arnd Beise, Vorsitzender der Internationalen Peter-Weiss-Gesellschaft hielt den einleitenden Vortrag zu der Lesung im Theater am Schwanhof. (Foto: Schumacher)

Es handelte sich um eine Lesung aus "Die Ermittlung - Oratorium in elf Gesängen" von Peter Weiss, der als Zuschauer am Prozess teilnahm und seine Protokolle 1965 veröffentlichte. "Die Ermittlung" wurde am 19. Oktober 1965 an 16 deutschen Bühnen gleichzeitig uraufgeführt. Den einführenden Vortrag zu der Lesung in Marburg hielt Arnd Beise, Vorsitzender der Internationalen Peter-Weiss-Gesellschaft. Er verwies darauf, dass das Werk Vergangenes wieder zur Sprache brachte - in einer Zeit, als die Menschen mit der Vergangenheit abschließen wollten. Die Provokation durch das Stück war somit absehbar.

Es war bewegend, schauderhaft und teilweise unerträglich, als Sascha Bauer, Peter Meyer und Regina Leitner, Schauspieler des Hessischen Landestheaters, Passagen aus. Die Ermittlung" vortrugen. Schonungslos, wiederholt und lang anhaltend werden die schockierenden Details in dem Werk dargelegt.

Die zahlreichen Zeugenaussagen schildern den Weg nach Auschwitz, die Aufnahme im Lager, die Massenabfertigung der Menschen und die schrecklichen Lebensbedingungen in dem Vernichtungslagern in grausamen Einzelheiten. Wie die Neuankömmlinge in zwei Reihen "sortiert" wurden: Arbeitsfähige und nicht Arbeitsfähige. Wie ihnen die Haare geschoren und die Unterarme mit Nummernstempeln tätowiert wurden. Von öffentlichen Hinrichtungen, Massenmorden und der alltäglichen Gewalt: "Es war normal, dass zu allen Seiten gestorben wurde... Überleben konnte nur der Listige, die Trauernden wurden zertreten", so der Bericht einer Zeugin.

"Die Ermittlung" schildert aber auch die Täter, die nicht als Täter gelten wollten, sondern als Soldaten, die nur Befehle befolgten; "Von dem täglichen Vergasungsprozess sprachen sie wie selbstverständlich", referierte Beise. Die Urteile für die 23 Angeklagten: dreimal Freispruch, sechsmal Lebenslänglich, zwölfmal Freiheitsstrafen zwischen drei und 14 Jahren, zwei Angeklagte waren zu dem Zeitpunkt bereits aus dem Prozess ausgeschieden.

Weiss schildert die Vorgänge in einem extrem versachlichten Dokumentarstil: "Ich habe den Text so karg gemacht, wie irgend möglich", sagte er dazu.

 

zur 6. Veranstaltung

 

Lernen von Nürnberg? - Die Relevanz des Nürnberger Prozesses für das moderne Völkerstrafrecht

1946 fand der erste internationale Strafprozess in der Geschichte der Menschheit statt. Es hat fast fünfzig Jahre gedauert, bis die Internationale Gemeinschaft sich wieder strafrechtlicher Tribunale bedient hat, um auf Menschlichkeitsverbrechen angemessen zu reagieren. Inzwischen hat auch in der Hoffnung auf die Entfaltung einer abschreckenden Wirkung ein Internationaler Strafgerichtshof etabliert werden können, dem immerhin 106 Staaten angehören. Das Nürnberger Verfahren bleibt der einzige Beispielsfall, und es stellt sich die Frage, ob dieser Prozess Vorbildcharakter für moderne Prozesse gegen Diktatoren und Kriegsverbrecher vor Internationalen oder internationalisierten Tribunalen haben kann.

Referent: Prof. Dr. Christoph J.M. Safferling ist Universitätsprofessor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Philipps-Universität Marburg.

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