Besuch ehemaliger ZwangsarbeiterInnen aus der einstigen Sowjetunion im Juli 2006
Die Besuchsgruppe mit den Schülerinnen und Schülern auf dem Marburger Rathausplatz.
Zwangsarbeit in Deutschland zwischen 1939 bis 1945
Bereits mit dem Überfall auf Polen 1939 wurden in den besetzten Gebieten
Männer und Frauen verschleppt, um in der deutschen Kriegswirtschaft Zwangsarbeit
zu leisten. Geplant war zunächst der zeitlich begrenzte Arbeitseinsatz von
Kriegsgefangenen. Die deutsche Kriegswirtschaft hatte den Einsatz so genannter
Fremdarbeiter in großem Umfang aber immer nötiger, da Arbeitskräfte fehlten.
Zu viele Männer wurden im Angriffs- und Vernichtungskrieg gebraucht.
Da der Versuch, Arbeitskräfte aus der besetzten Sowjetunion als Freiwillige
anzuwerben, fast gänzlich gescheitert war, schritt man auch hier zur
Zwangsverschleppung.
Ohne den Arbeitseinsatz von Millionen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und
KZ-Häftlingen wäre die Weiterführung des Krieges nicht möglich gewesen. Ende
1944 arbeiteten mehr als 7,5 Millionen ausländische Arbeitskräfte - davon ein
Drittel Frauen - für geringe Bezahlung oder auch ohne Lohn in fast allen
Bereichen der Wirtschaft.
Nach der menschenverachtenden Rassenideologie der Nationalsozialisten wurden
die Menschen in verschiedene Rassen eingeteilt. Danach waren die Rassen mit "höherem"
Wert berechtigt, über die mit "niederem" Wert zu herrschen. Am unteren Ende dieser
"Werteskala" stand die osteuropäische Bevölkerung.
Je tiefer "Fremdarbeiter" in der NS-Rassenlehre angesiedelt waren, desto schlechter
waren ihre Lebensbedingungen; ungesunde Ernährung und Misshandlung durch deutsche
Vorarbeiter gehörten zu ihrem Alltag. Viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
starben aufgrund der katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen.
"Ostarbeiter" aus der Sowjetunion und polnische Arbeitskräfte mussten zudem auf ihrer
Kleidung zur Kennzeichnung und Ausgrenzung die Aufnäher "OST" bzw. "P" tragen. Es war
ihnen verboten öffentliche Einrichtungen wie Kinos, Bahnhöfe und auch Kirchen zu
besuchen. Die meisten Zwangsarbeiter waren in Lagern untergebracht. Sie sollten von
der deutschen Bevölkerung getrennt leben.
Zwangsarbeit in Marburg
Auch in Marburg und in den umliegenden Gemeinden konnte die Wirtschaft nur mit
Hilfe von Zwangsarbeit aufrechterhalten werden.
3.863 zivile Zwangsarbeiterinnen, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen konnten
ermittelt werden. Sicher waren noch viel mehr während des Zweiten Weltkrieges in
Marburg und den heutigen Stadtteilen eingesetzt. Die meisten waren in bewachten
Lagern oder Sammelunterkünften untergebracht. Andere lebten bei den jeweiligen
"Arbeitgebern" zum Beispiel auf den Höfen oder in Privathaushalten.
Die meisten der polnischen und sowjetischen zivilen Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter mussten bis zum Ende des Krieges in landwirtschaftlichen,
handwerklichen aber auch industriellen Betrieben arbeiten. Haupteinsatzorte
waren die Reichsbahn und die Behringwerken. Kommunale und wehrwirtschaftliche
Behörden und andere Institutionen wie Schulen und andere kirchliche Einrichtungen,
Dienstleistungsbetriebe wie Gastwirtschaften und Pensionen profitierten ebenfalls
vom Einsatz der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.
Begegnungswochen
Insgesamt waren 30 ehemalige ZwangsarbeiterInnen aus Russland, Lettland und
Weißrussland angeschrieben worden. Von vielen kam keine Antwort mehr zurück, für
andere war es aus gesundheitlichen Gründen unmöglich, eine so lange Reise anzutreten.
So schrieb Herr Rumjamzew - hier stellvertretend für viele andere erwähnt: "Ich
würde wirklich gerne zu Ihnen kommen … und an dem Ort sein, wo unsere Baracke
gestanden hat. Ihre Einladung, Marburg zu besuchen, kann ich nicht annehmen, weil
ich in diesem Frühjahr einen Schlaganfall hatte."
Bereits zuvor fanden zwei Begegnungswochen statt. So konnten im Juni 2003 zwölf
ehemalige ZwangsarbeiterInnen aus der Ukraine und im Oktober 2004 15 Personen aus
Polen in Marburg begrüßt werden. Jedes Mal beteiligten sich SchülerInnen an der
Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation der jeweiligen Begegnungswoche. Um
auch die Marburger Öffentlichkeit zu informieren entstanden aus den intensiven
Gesprächen und den geführten Interviews eine Ausstellung, eine Lesung und dieser
"Stadtrundgang".
Der vorstehende Text ist der Broschüre "Stadtrundgang" entnommen, die im
Rahmen der Besuchswoche von Schülerinnen und Schülern der Theodor-Heuss-Schule
und der Richtsberg-Gesamtschule erstellt wurde.
Unser Dank gilt den folgenden Initiatoren und Geldgebern des Projekts, ohne
deren großzügige Unterstützung die Begegnungswoche nicht stattgefunden hätte:
Magistrat der Stadt Marburg
Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft,
Fonds Erinnerung und Zukunft, Berlin
Hessische Landeszentrale für politische Bildung
Spenden Nachfolgefirmen der Behringwerke
Privatspenden
Fotos vom Besuch ehemaliger ZwangsarbeiterInnen aus der einstigen Sowjetunion im Juli 2006
Der offizielle Empfang im Marburger Rathaus verlief sehr herzlich:
Michail Popow im Gespräch mit Oberbürgermeister Egon Vaupel.
Einen schönen Tag verbrachte die Gruppe in Wiebaden. Im Landtag unterhielten sich
der Landtagsvizepräsident Lothar Quanz (SPD) und die Landtagsabgeordneten aus Marburg,
Anne Oppermann (CDU) und Dr. Thomas Spies (SPD), mit den Gästen.
Eine Stadtführung in Wiesbaden erinnerte auch an die historischen
hessisch - russischen Beziehungen.
Gemeinsames Essen und Trinken gehörte natürlich auch zum Programm der
Begegnungswoche.
Auf dem Marburger Hauptfriedhof erinnerten sich Gäste und Gastgeber
an die Opfer des Nationalsozialismus auch unter den Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeitern.
Gruppenbild auf dem Marburger Hauptfriedhof.
Die Begegnungswoche endete mit einem gemeinsamen Grillabend
im Garten des Schwanhofs.
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