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Stolpersteine - Steine gegen das Vergessen

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Dr. Heinrich Berger


Für Heinrich Berger, Kennkartenfoto
 


In diesem Haus im Oberweg 21 in Wehrda wohnte Heinrich Berger.
Fotos: Wagner, 2014

Der Stein wurden verlegt am 09.10.2014.

HIER WOHNTE
DR. HEINRICH
BERGER
JG. 1874
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
ZWANGSRUHESTAND 1936
TOT 12.10.1939

Dr. Heinrich Berger
 

Ausschnitt der Sterbebeurkundung Dr. Heinrich Bergers: Als Konfession wird "evangelisch" angegeben, als Todesursache "Herzschlag". Sterbebuch Standesamt Goßfelden 1939

Heinrich Berger wurde am 30. April 1874 in Breslau als Sohn von Regina geb. Ollendorff und Joseph Berger geboren. Ob er Geschwister hatte, ließ sich bis jetzt nicht ermitteln. Bergers Mutter, Regina Ollendorff (geboren am 3. Februar 1849 in Rawitsch (Rawicz, Großpolen), gestorben am 18. Juli 1908) war Tochter von Robert Ollendorff und Serephene Sandmann. Sie heiratete Joseph Berger am 26. Dezember 1871. Die Ollendorffs waren eine jüdische Familie. Ob Heinrich Berger evangelisch erzogen wurde oder konvertierte, geht aus den vorliegenden Dokumenten nicht hervor.

Heinrich Berger machte 1892 am "Realgymnasium zum Zwinger" in Breslau sein Abitur und studierte ab dem Wintersemester 1892/93 an der "Friedrich-Wilhelms-Universität" in Breslau Neuere Sprachen. Zum Sommersemester 1894 wechselte er für zwei Semester nach Berlin, ab Sommersemester 1896 bis zum Wintersemester 1897/98 studierte er wieder in Breslau. Am 17. Dezember 1897 legte er das Examen Rigorosum (Prüfung im Zuge der Promotion) in Breslau ab. 1898/99 studierte er noch in Kiel.

Seine prämierte Promotionsarbeit mit dem Titel "Die Lehnwörter in der französischen Sprache ältester Zeit" wurde 1899 bei dem Verlag O. R. Reisland in Leipzig publiziert. Noch heute findet das Buch Interessierte, so wie das aktuelle Angebot eines Exemplars "in originalem Halbleder, mit goldgeprägtem Rückentitel, marmorierter Schnitt und Errata" zeigt.

Am 3. März 1900 legte Heinrich Berger Ergänzungsprüfungen in Griechisch und Latein am "Gymnasium St. Elisabeth" in Breslau ab. Vom 26. Oktober 1901 bis zum 10. Juli 1905 war er Wissenschaftlicher "Hilfsarbeiter" an der Königlichen-und Universitätsbibliothek in Breslau.

Am 6. Mai 1905 machte er sein Staatsexamen in Breslau, am 16. Juni 1906 die Bibliotheks-Fachprüfung in Göttingen. In der Zeit vom 11. Juli 1905 bis zum 30. März 1914 arbeitete Heinrich Berger erst als Volontär, dann als Assistent, später als Hilfsbibliothekar und endlich ab 1. Oktober 1913 als Bibliothekar in der Breslauer Universitätsbibliothek. Zum 1. April 1914 wurde Heinrich Berger nach Marburg an die hiesige Universitätsbibliothek versetzt.

Am 14. August 1907 hatte er Meta Anna Klara Land, geboren am 31. August 1882 in Breslau, geheiratet. Sie hatten drei Kinder, die Söhne wurden in Breslau geboren: Helmut Johann Wolfgang Berger, geboren am 11. Mai 1908, Karl-Heinz Josef Berger, geboren am 20. Dezember 1909. Die Tochter Hertha Marie Luise Berger kam am 20. August 1914 in Marburg auf die Welt. Beide Söhne besuchten das Gymnasium Philippinum, studierten Jura und promovierten in Marburg. Die Tochter besuchte das damalige Elisabeth-Lyzeum. Sie erlernte den Beruf der Säuglingspflegerin und scheint nicht geheiratet zu haben.

Mit Schreiben vom 16. Oktober 1935 wurde Dr. Berger vom Kurator der Marburger Universität Ernst von Hülsen auf Grund eines Erlasses des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 14. Oktober 1935 "betreffend die jüdischen Beamten, die von 3 oder 4 der Rasse nach volljüdischen Grosselternteilen abstammen ..." beurlaubt.

Am 16. Dezember 1935 erhielt Dr. Heinrich Berger seine vorläufige Ruhegeldberechnung: 35 von 100 Prozent, das entsprach 223,70 RM und davon erhielt er 80 Prozent, also 178,96 RM, die zudem vierteljährlich ausgezahlt wurden. Das war eine erhebliche nicht zu rechtfertigende finanzielle Einbuße. Später wurde dieser Betrag etwas nach oben korrigiert.

In einem Schreiben vom 23. Dezember 1935 erhielt Dr. Berger seine Entlassung, die verschleiernd Versetzung in den Ruhestand genannt wurde. "Im Namen des Reiches ... Der Bibliotheksrat Dr. Berger in Marburg tritt auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes in Verbindung mit § 4 der 1. Verordnung dazu vom 14. Oktober 1935 betr. jüdische Beamte November 1935 (RGBl. I S. 1333) mit Ablauf des 31. Dez. 1935 in den Ruhestand."

Der Bibliotheksdirektor hatte versucht, sich in einem Schreiben an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung für seinen Mitarbeiter einzusetzen. Er schrieb: "Der am 30. April 1874 geborene, d.h. im 62. Lebensjahr stehende, der evangelischen Konfession angehörende Dr. Berger bittet in der vom Bibliotheksdirektor befürworteten anliegenden Eingabe vom 17. Oktober 1935, ihn bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres im Amte zu belassen, oder falls dies nicht möglich sein sollte, ihn auf Grund des Runderlasses des Herrn Finanzminister und des Minister des Innern vom 5.3.1932, betreffend Zurruhesetzung von unmittelbaren Staatsbeamten ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit (Preuß. Besol. Blatt S. 60) mit einem Ruhegehalt von 80 v.H. des zuletzt bezogenen ruhegehaltsfähigen Diensteinkommens in den Ruhestand zu versetzen. Dr. Berger, der mit einer rein arischen Frau [nicht arischen ist durchgestrichen und berichtigt] verheiratet ist und 3 Kinder hat, ist ein tüchtiger Bibliotheksbeamter von durchaus zuverlässiger nationaler Gesinnung. In demselben Geist hat er seine Kinder erzogen. Sollte überhaupt eine Ausnahme nach den zu erwartenden Durchführungsbestimmungen zum Reichsbürgergesetz möglich sein, so befürworte ich auch meinerseits die Belassung Dr. Bergers im Amte, verneinenderfalls aber bitte ich seinem Antrage auf Versetzung in den Ruhestand in Gemäßheit des vorerwähnten Runderlasses vom 5. März 1932 mit einem Ruhegehalt von 80 v.H. seines Diensteinkommens grundsätzlich zuzustimmen und mich anzuweisen, eine Ruhegehaltsberechnung vorzulegen." Die Eingabe blieb ohne Erfolg.

Bevor Dr. Berger mit seiner Frau 1937 nach Wehrda verzog, wohnte das Ehepaar in der Friedrichstraße 6, davor in der Weißenburgstraße (Schückingstraße) 22.

Am 24. September 1939, zwei Wochen vor dem Tod ihres Mannes, schrieb Meta Berger einen Beschwerdebrief an den Landrat Krawielitzki zum Landratsamt in Marburg am "Adolf-Hitler-Platz". Die Ausführungen machen die Schikanen deutlich, unter denen das Ehepaar litt.

Der Beschwerdebrief von Meta Berger befindet sich heute im Hessischen Staatsarchiv Marburg.

Am 12. Oktober 1939 verstarb Dr. Heinrich Berger in Wehrda mit 65 Jahren. Als Todesursache wird Herzschlag angegeben (s. o.).

Meta Berger zog im März 1951 zu ihrem Sohn Dr. jur. Karl-Heinz Berger nach Stuttgart. Mit Hilfe Ihres Sohnes beantragte sie Wiedergutmachung, das heißt wenigstens einen finanziellen Ausgleich für das in der NS-Zeit erfahrene Unrecht.

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