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"Anzustreben sind Versuche am Menschen ..."

Ein kurzer Beitrag zur Geschichte der Marburger Behringwerke.

Thomas Werther

Das Titelzitat stammt von Albert Demnitz, dem langjährigen Betriebsführer der Behringwerke. Es ist enthalten in den "Marburger Protokollen" der "Serobakteriologischen Besprechungen" der I.G. Farben (Sitzung vom 11.1.1940). Die Niederschriften dieser regelmäßig stattfindenden Besprechungen sind im Bayerarchiv Leverkusen zu finden (Signatur: 169/17, Protokolle der Serobakteriologischen Betriebsbesprechungen in Marburg 1931-45). Das Zitat weist eindeutig darauf hin, daß die Behringwerke von sich aus an Menschenversuchen zur Erprobung ihrer Sera- und Therapieprodukte interessiert waren und auch die notwendigen Schritte zur Umsetzung unternahmen. Das Titelzitat bezieht sich auf einen neu entwickelten Typhusimpfstoff. über den ehemaligen Behringwerke-Mitarbeiter Dr. Menk, der nun als "Beratender Hygieniker" der Wehrmacht im eroberten Warschau den Neuaufbau der Staatlichen Hygiene im noch zu schaffenden Generalgouvernement zu organisieren hatte, sollte das neue Mittel an der dortigen Bevölkerung ausprobiert werden. In der Tat wurden verschiedene Produkte der I.G. Farben dann in den jüdischen Krankenhäusern Warschaus "auf ihre Verträglichkeit" untersucht. Ob und wie viele Opfer zu beklagen sind, ist bisher nicht bekannt.

Bekannter sind dagegen die vielen Toten, die die Humanexperimente im Konzentrationslager Buchenwald durch die verschiedenen Marburger Präparate gegen das Fleckfieber verursacht haben. Lange Jahre haben die Behringwerke abgestritten, von diesen mörderischen Menschenversuchen gewußt zu haben. Diese Behauptungen lassen sich nicht weiter aufrecht erhalten, da inzwischen durch neuere Forschungen - vor allem durch Ernst Klee - das Gegenteil bewiesen ist. Klee bezieht sich in seinen Analysen im wesentlichen auf die Dokumente der Staatsanwaltschaft des Nürnberger Ärzteprozesses. Interessant sind auch die Verteidigermaterialien. So gibt Richard Bieling, damaliger Leiter der serobakteriologischen Abteilung der Behringwerke und Honorarprofessor an der Philipps-Universität, als Entlastungszeuge für den später zum Tode verurteilten SS-Organisator fast aller Menschenversuche in den KZs, Joachim Mrugowsky, zu Protokoll: "Dagegen hielt ich von Ding persönlich und die Verhältnisse, wie sie in einer Krankenbaracke eines Gefangenenlagers häufig bestehen, dafür nicht geeignet." Also kannte er die Verhältnisse! Später, als auch gegen ihn ermittelt wird, leugnet er eine Mitwisserschaft ab.

Mrugowsky war die Kontaktperson, an die sich auch Demnitz wandte, um die Marburger Impfstoffe in die Versuchsreihen im KZ Buchenwald aufzunehmen: "Mrugowsky führt Versuche mit Impfstoffen verschiedener Herstellungsmethoden, die ihm von Marburg zur Verfügung gestellt werden, durch." (Besprechung 19.1.1942 in Marburg) Auch die Auswertung dieser ersten Fleckfieber-Versuchsreihen fand am 4.5.1942 in Marburg statt. Alle an den Versuchen beteiligten Forscher des Roland-Koch-Instituts, des Innenministeriums, des Frankfurter Instituts für Experimentelle Therapie und der Behringwerke, die dort zugegen waren, einigten sich auf eine gemeinsame "einheitliche Impfstoffherstellung"; da die Marburger Impfstoffe am tödlichsten gewirkt hatten, mußten die Behringwerke ihr "Herstellungsverfahren umstellen". Die Nachfolgeprodukte wurden selbstverständlich auch wieder bei der SS zur Prüfung angemeldet.

Andere Neuprodukte gegen Gelbfieber, Gasbrand, Typhus, Paratyphus, Ruhr, Tetanus und Scharlach wurden ebenfalls in Humanexperimenten studiert. Sogenannte Verträglichkeitsprüfungen fanden aber nicht nur in verschiedenen Konzentrationslagern statt, sondern auch in Kinderheimen, Gefängnissen, Krankenhäusern und Lazaretten statt, also durchweg dort, wo sich Menschen gegen die oft tödlichen Zwangsmaßnahmen nicht wehren konnten.

Es scheint, daß die Behringwerke Marburg sehr viel mehr in die Praxis der Menschenversuche involviert waren als bisher angenommen. Die Quellen werden hier die nötige Auskunft geben.

Thomas Werther, Fleckfieberforschung im Deutschen Reich 1914 – 1945, Dissertation vorgelegt 2004 am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg

Hier sind die Gründe nachzulesen, die zum Tod so vieler "Versuchskaninchen" - so beschreiben sich die Opfer selbst - geführt haben: Reputation, Krieg und Profit.

 

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