Geschichtswerkstatt Marburg e.V.    Forschung für Regional- und Alltagsgeschichte

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Neues Buch der Geschichtswerkstatt Marburg!

Das Hochzeitsfoto - Eine hessische Familiengeschichte
nacherzählt von Barbara Wagner


Das Buch kann über die Geschichtswerkstatt Marburg e.V. für 15 Euro in deutscher oder englischer Sprache erworben werden. Foto: Wagner

Die Familien Nathan und Kastner aus Israel, die Marburg bereits seit 2011 regelmäßig besuchen, freuten sich im September 2022 besonders auf ihr Kommen. Nach dem Gedenken zur 3. Deportation der Jüdinnen und Juden aus Marburg am Marburger Bahnhof schloss sich am nächsten Tag eine für sie besondere Buchvorstellung an. Das Hochzeitsfoto - Eine hessische Familiengeschichte, nacherzählt von Barbara Wagner von der Marburger Geschichtswerkstatt - wurde präsentiert.

Worum geht es in dem Buch? Das Hochzeitsfoto ihrer Eltern, das die Geschwister Gad Nathan und Ruth Kastner geb. Nathan bei ihrem ersten Besuch in Marburg 2011 mitgebracht hatten, war die Basis für die Recherche ihrer Familiengeschichte. Denn für die beiden gab es eine große biografische Lücke. Ihre Eltern, deren Heimat Hessen gewesen war, konnten, frisch verheiratet, nach Palästina flüchten. Die Hochzeitsfeier in Marburg war ein letztes Zusammenkommen mit Teilen der weitverzweigten Familie.

Als Überlebende in einem ihnen erst einmal sehr fremden Land mussten sie erfahren, dass viele Familienmitglieder ermordet worden waren, dass Teile der Familie in die verschiedensten Länder geflüchtet waren. Wie so viel Jüdinnen und Juden, die den Holocaust überlebten, erzählten sie ihren Kindern wenig von ihrer geraubten Heimat. Zu groß war der Schmerz des Verlustes, zu groß das Entsetzen über die Grausamkeiten der Landsleute in Deutschland, zu groß die natürlich unbegründeten Schuldgefühle, überlebt zu haben.

Das Hochzeitsfoto bot nun die Möglichkeit, die dort abgebildeten Menschen, alle aus Hessen stammend, mit ihren so unterschiedlichen Schicksalen darzustellen, sie im Zusammenhang der Familienstrukturen zu begreifen, sie durch die Erinnerung zu ehren.

Die Schule Philippinum bot der Geschichtswerkstatt Marburg und der Familie Nathan/Kastner die Räumlichkeit, das Buch vorzustellen. Dort schloss sich ein Kreis, da einer der Hochzeitsfeiergäste, Dr. Max Plaut, am Philippinum Abitur gemacht hatte. Dank gilt dem Leiter der Schule, Michael Breining.


Gad Nathan bei seiner Rede zur Buchvorstellung, Foto: Wagner

Gad Nathan zeigte in seiner Rede, wie wichtig es ihm und seiner Familie ist, die Lücke der Herkunft zu füllen, die Geschichte der Entrechtung und Vertreibung, das Gedenken an die Ermordeten wach zu halten. Zu wissen, dass diese Menschen nicht vergessen sind, wo auch immer die Nachfahren jetzt leben, ist ein ihm wichtiger Ansatz des Buches. (Gad Nathans Rede: https://youtu.be/8Sa2m4pA_60)

Die bedeutsamen Orte der Familie in Hessen sind Lohra, Merzhausen, Oberasphe, Breidenbach und natürlich Marburg. Dass der Oberbürgermeister von Marburg, Dr. Thomas Spies, ein Grußwort gesprochen hat, zeigte der Familie die Bedeutung ihrer Geschichte. Dr. Spies erzählte aus seinem persönlichen Erleben, dass der Holocaust, die Shoa, zu Deutschland gehört und immer mitgedacht werden muss.


Der Marburger Oberbürgermeister, Dr. Thomas Spies, Foto: Wagner

Die Übersetzungsarbeit des ehemaligen Lehrers des Philippinums, Rainer Hermann, hat es ermöglichst, dass die heute meist nicht mehr in Deutschland lebenden Familienmitglieder das Buch auch lesen können.

Die Wurzeln der Familie zu zeigen, die Schicksale einzelner Familienmitglieder zu beleuchten, den Menschen durch viele Fotos im wahrsten Sinne des Wortes Gesichter zu geben, dies macht das Buch aus. Wer wurde ermordet, wo und wie wurden die Menschen auf grausamste Art getötet, wer konnte flüchten? Das jüngste Kind einer der Familien wurde noch im Ghetto Theresienstadt geboren, ein Säugling wurde wenige Tage nach der Geburt deportiert, Kinder durften nicht mehr zur Schule gehen, Männer mussten Zwangsarbeit leisten. Die Menschen, die auf dem Hochzeitsfoto zu sehen sind, zeigen eine unglaubliche Fülle unvorstellbarer Geschichten. Wir alle müssen uns an diese Geschichte(n) erinnern - auch oder auch gerade dann, wenn das schmerzhaft ist.

Sich gemeinsam mit den Angehörigen von den Betroffenen zu erinnern, gemeinsam zu sehen, wie im Nachkriegsdeutschland dieses Grauen ausgeblendet wurde, mit welcher Gleichgültigkeit über diese Geschehnisse gesprochen wurde, das schafft Verbindung, die Basis für gemeinsame Trauer und gemeinsames Gedenken.

Die Familien Nathan und Kastner bedankten sich damit, dass sie Bäume in Israel hatten setzen lassen. Der Jüdische Nationalfonds bemüht sich mit solchen "Baumgeschenken" in Israel um Aufforstung. Könnte es ein zukunftsweisenderes und nachhaltigeres Dankeschön geben?

Dr. Klaus-Peter Friedrich von der Geschichtswerkstatt bemerkte zu dem Buch: "Lokale Geschichtsforschung kann heute eine ganze Menge Einzelheiten ermitteln, wenn sie sich auf die vielen Vorarbeiten stützt, die seit den 1980ern erarbeitet wurden. Umso schöner, wenn eine Publikation dann auch den angemessenen (kritischen) Ton trifft. Und die vielen Fotos machen das Ganze sehr anschaulich."


Besucher und Besuchte vor dem Philippinum, Foto: Wagner

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