Geschichtswerkstatt Marburg e.V.    Forschung für Regional- und Alltagsgeschichte

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Die AG "Militarismus in Marburg" (1984 - 1989)

Thomas Werther

Marburg war eine alte Garnisonsstadt. Das Militär spielte in der Entwicklung der Stadt eine nicht unbedeutende Rolle, sei es durch die Schaffung von Infrastruktur, der Mehrung des Stadtsäckels, vor allem aber durch die geistige Durchdringung mit militärischem Gedankengut. Letzteres war ausschlaggebend für die Gründung dieser Arbeitsgruppe. Alljährlich veranstaltete eine "Kameradschaft Marburger Jäger" zu Herbstbeginn ihre sogenannten Jägertage. Am Grab von Hindenburg in der Elisabethkirche wurden Kränze niedergelegt und vaterländische Reden geschwungen, am nächsten Tag wurde am Jägerdenkmal im Schülerpark gemeinsam mit Bundeswehr und Stadt- und Kreisoberen den alten Helden gedacht und anschließend in der Kaserne ein Preisschießen veranstaltet. Wir wunderten uns doch über solche Veranstaltungen, bei denen französische Soldaten an gemeinsame Schlachten von 1870/71 (!) erinnerten und eine braununiformierte Truppe älterer Herren aus Südtirol militaristische Lieder sangen; waren doch die Marburger Jäger bereits 1919 vom preußischen Innenminister verboten und aufgelöst worden. Die Jungs verband etwas, was normale Menschen wie wir aus der Geschichtswerkstatt nicht nachvollziehen konnten: eine Mischung aus soldatischer Manneszucht, militaristischem Standesdünkel, nationalistischen Großmachtphantasien, Rassismus und Antisemitismus. All dies wurde uns deutlich, als wir auf den Jägertagen auftauchten und uns die entsprechenden Kommentare wie "vaterlandslose Gesellen", "von Breschnew angeheuert" und "vom Juden bezahlt" entgegen tönten. Dermaßen angespornt, versuchten wir nun, diesen militaristischen Käse zumindest aus der Marburger Öffentlichkeit zu tilgen. Gespräche mit den Pastoren aus der E-Kirche führten dazu, daß keine Kundgebungen mehr am Grab von Hindenburg stattfinden dürfen. Stadt und Kreis zogen sich peu a peu aus den Jägertagen heraus. Grundlage für diese Entwicklungen waren die historischen Erkenntnisse über die "Marburger Jäger": beteiligt an der Niederschlagung der "Pariser Commune" 1871, an der Zerschlagung des Boxeraufstandes in China um die Jahrhundertwende, am Völkermord der Herero 1905/06 im damaligen "Deutschsüdwestafrika", an der Erschießung mehrerer Demonstranten in Oberschlesien im Winter 1918 und nach ihrer Auflösung 1919 aktiv als Vereine (Offiziere, Mittelbau und Mannschaften) an der Vorbereitung des Kapp-Putsches 1920, der Ermordung 15 thüringischer Arbeiter 1920 und teilweise am Marsch auf die Feldherrnhalle (1923). Nicht umsonst organisierten sich die Marburger SA-Männer in sogenannten "Jägerstürmen"; diese Jäger-SA steckte 1938 die Marburger Synagoge an. Nach 1945 hörte das "Jäger"-Unwesen allerdings immer noch nicht auf. Mitte der 80er Jahre hatte diese obskure Vereinigung weit über 500 Mitglieder. Einige von ihnen waren auch an den Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellung 1998 beteiligt.

Höhepunkt unserer Gegenaktionen war jene vielerwähnte Aufstellung des Deserteure-Denkmals visavis dem Jägerdenkmal am Antikriegstag 1989. Im Zuge dieser Aktionen gründete sich eine neue Arbeitsgruppe, die mit der historischen Aufarbeitung und Würdigung der Deserteure, Wehrkraftzersetzer usw. des II. Weltkrieges begann. Unsere alte AG, die die letzten beiden Jahre nur noch sporadisch gearbeitet hatte, löste sich auf.

 

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